Branchenübergreifend klagen Unternehmen über Fachkräftemangel. Stellen bleiben unbesetzt, vorhandene Mitarbeiter ächzen unter Mehrarbeit, Prozesse verlaufen schleppend und Bewerbungen – sollten sie denn eingehen – sind oft enttäuschend, weil aus verschiedenen Gründen unpassend. Doch während vielerorts nach externen Ursachen gesucht wird, zeigt sich bei genauerem Hinsehen: Ein Teil des Problems ist hausgemacht – und genau deshalb auch lösbar.
Es sind oft nicht die äußeren Umstände, die die Besetzung von Positionen blockieren, sondern interne Denkmuster, überholte Prozesse und ein Selbstbild, das nicht mehr zur Realität eines modernen Arbeitsmarktes passt. Die gute Nachricht: Wer bereit ist, die eigene Herangehensweise zu überdenken, kann aktiv gegensteuern. Es gibt konkrete, pragmatische Lösungen für Fachkräftemangel – und sie beginnen mit einem ehrlichen Blick auf das eigene Unternehmen.
1. Erwartungen realistisch formulieren
Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Art und Weise, wie Anforderungen in Stellenanzeigen formuliert werden. In der Praxis liest man oft Wunschlisten, die kaum realistisch zu erfüllen sind. Gesucht wird eine Person mit mehreren Jahren Erfahrung, fundiertem Fachwissen in mindestens fünf Tools, idealerweise Führungskompetenz und einem agilen Mindset – und das zu einem Gehalt, das kaum den Marktdurchschnitt erreicht.
Statt solche Stellenprofile als Idealvorstellung zu definieren, empfehlen wir Unternehmen zu analysieren, welche Anforderungen tatsächlich erfolgskritisch sind und welche Fähigkeiten im Laufe der Einarbeitung erworben werden können. Wer bereit ist, Potenzial höher zu gewichten als die reine Übereinstimmung mit einem Anforderungskatalog, erweitert nicht nur den Kreis potenzieller Kandidat:innen, sondern erhöht gleichzeitig die Chance, Menschen zu finden, die sich langfristig mit dem Unternehmen entwickeln wollen.
Klar, diese Entscheidung hinsichtlich der Priorisierung von Fähigkeiten zu treffen, ist nicht immer ganz einfach, besonders wenn es sich um ein Feld handelt, in dem man selbst keine Expertise hat. Deshalb ist dies auch Teil unserer Beratung, wenn Kunden mit einem Anforderungsprofil auf uns zukommen: Wir bringen Struktur in überladende Wunschprofile und zeigen auf, wo sich Arbeitsbereiche abgrenzen.
2. Bewerbungsprozesse vereinfachen und beschleunigen
Ein weiterer Schlüssel zur Lösung des Fachkräftemangels liegt in der Gestaltung des Bewerbungsprozesses. Viel zu oft ziehen sich Entscheidungsprozesse über Wochen, Zwischenbescheide bleiben aus, Feedback kommt zu spät oder gar nicht. In einem Markt, in dem Bewerber:innen mehrere Optionen gleichzeitig prüfen und teilweise innerhalb von Tagen Entscheidungen treffen müssen, ist Geschwindigkeit ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.
Unternehmen, die ihre Prozesse bewusst entschlacken, Zuständigkeiten klar verteilen und Bewerbungen mit der nötigen Dringlichkeit behandeln, steigern nicht nur ihre Erfolgsquote – sie verbessern auch die Wahrnehmung der eigenen Arbeitgebermarke. Ein zügiger, wertschätzender Umgang mit Bewerbungen ist kein Extra, sondern heute Standarderwartung. Qualifizierte Bewerbende haben heute die Auswahl und oft ist eine positive Candidate Experience entscheidend, ob sie ein Jobangebot akzeptieren oder nicht. Bei schlechten Erfahrungen droht sogar ein Reputationsverlust, denn viele machen ihrem Ärger auf entsprechenden Online-Portalen Luft.
Unternehmen, die dies aufgrund personeller Engpässe nicht leisten können, können hier von der Zusammenarbeit mit Personalvermittlern sehr profitieren, weil sie ihnen die grobe Arbeit schon einmal abnehmen. HR- und Fachabteilungen müssen sich dann „nur“ noch mit vorselektierten Kandidaten befassen, statt die gesamte Bewerberflut managen zu müssen. Die letzte Entscheidung für oder gegen ausgewählte Kandidaten kann ihnen jedoch auch ein Dienstleister nicht abnehmen. Von daher sollten Sie für die Suche immer etwas Zeit reservieren.
3. Flexible Arbeitsmodelle ernsthaft ermöglichen
Während viele Unternehmen offiziell von Flexibilität sprechen, zeigt sich in der Realität oft das Gegenteil: feste Arbeitszeiten, Präsenzpflicht im Büro und wenig Bereitschaft, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. Dabei haben sich die Vorstellungen von Arbeit grundlegend verändert. Viele qualifizierte Fachkräfte wünschen sich Arbeitszeitmodelle, die zum eigenen Leben passen, sei es durch Remote-Optionen, flexible Wochenarbeitszeiten oder die Möglichkeit zur Teilzeit.
Immerhin 40 Prozent der deutschen Unternehmen bieten keine Homeoffice-Möglichkeit (mehr) an. Ein modernes Arbeitsmodell ist aber längst kein Wohlfühlangebot mehr, sondern ein zentrales Entscheidungskriterium für Bewerber:innen. Wer bereit ist, Verantwortung zu teilen, Vertrauen zu schenken und Arbeitsergebnisse stärker in den Fokus zu rücken als physische Anwesenheit, wird eine ganz neue Zielgruppe erschließen – darunter viele hochqualifizierte Talente, die sich klassischer Vollzeitmodelle längst entwöhnt haben.
4. Freelancer als Teil der Lösung gegen den Fachkräftemangel sehen
Trotz offensichtlicher Engpässe zögern viele Unternehmen, auf externe Expertise in Form von Freelancer:innen zurückzugreifen. Oft wird diese Option vorschnell ausgeschlossen – mit Verweis auf Budgetrestriktionen, rechtliche Unsicherheit oder der Hoffnung auf eine baldige Festanstellungslösung. Dabei bieten Freelancer:innen gerade in akuten Situationen wertvolle Unterstützung: Sie sind schnell verfügbar, benötigen kaum Einarbeitungszeit und bringen spezialisierte Erfahrung mit, die intern vielleicht nicht vorhanden ist. (Mehr dazu erfahren Sie im Artikel „5 gute Gründe, warum sich der Einsatz von „teuren“ Freelancern bezahlt macht.“) Vor diesem Hintergrund relativiert sich der vermeintlich hohe Stundensatz eines Freelancers schnell – vor allem, wenn man hier die sogenannte „Cost of Vacancy“ mitbedenkt.
Die temporäre Zusammenarbeit mit Freelancer:innen sollte nicht als Notlösung, sondern als strategisches Element der Personalplanung verstanden werden. Sie ermöglicht es, wichtige Projekte am Laufen zu halten, kurzfristige Vakanzen zu überbrücken oder neue Themengebiete zu erschließen – ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen. Wer den Fachkräftemangel ernsthaft bekämpfen will, sollte bereit sein, auch unkonventionellere Wege zu gehen – und dazu gehört die kluge Integration externer Ressourcen. (Lesen Sie in unseren Klienten FAQs, welche Vorteile Ihnen eine Zusammenarbeit mit uns in der Freelancervermittlung bringt und wie der Ablauf wäre.)
5. Die eigene Haltung und Vorurteile überprüfen
Ein oft unterschätzter Faktor im Kontext des Fachkräftemangels ist das Selbstverständnis vieler Unternehmen. Noch immer begegnet man einer Haltung, in der Bewerber:innen sich zu beweisen haben, während das Unternehmen als Bewertende über Wohl und Wehe entscheidet. Dieses Denken ist nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern auch kontraproduktiv. Der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt. Qualifizierte Fachkräfte haben heute eine Auswahl – und sie entscheiden sich für Arbeitgeber, die ihnen auf Augenhöhe begegnen, transparent kommunizieren und ihre Zeit respektieren.
Dazu gehört es auch, Bewerbungsprozesse nicht unnötig in die Länge zu ziehen, Gehaltsangaben nicht zu verschweigen und ehrlich mit Entwicklungsmöglichkeiten, Herausforderungen und Erwartungen umzugehen. Authentizität schlägt Hochglanz – und Augenhöhe gewinnt gegen Arroganz.
In diesem Zusammenhang sollte auch jedes Unternehmen seine eigenen Vorurteile hinterfragen. Diese gibt es besonders häufig aufgrund des Alters, Geschlechts oder der Herkunft.
6. Interne Blockaden identifizieren und auflösen
Neben allen strukturellen Fragen lohnt sich ein Blick auf interne Hürden. In vielen Unternehmen fehlt es nicht nur an Talenten, sondern auch an klaren Verantwortlichkeiten im Recruiting. Bewerbungen versanden, weil sich niemand wirklich zuständig fühlt. Entscheidungen werden vertagt, weil zu viele Menschen mitreden. Oder Stellen bleiben offen, weil sich niemand traut, von bisherigen Mustern abzuweichen.
Diese internen Blockaden lassen sich nicht über Nacht beseitigen – aber sie können aktiv adressiert werden. Dazu gehört es, Recruiting zur Priorität zu machen, Prozesse klar zu strukturieren und das Zusammenspiel zwischen HR, Fachbereich und Management neu zu justieren. Wer die eigenen Abläufe kennt, kann sie verbessern. Wer sie ignoriert, bleibt stecken.
Fazit
Der Fachkräftemangel hat viele Ursachen. Dementsprechend gibt es auch keine einfache Antwort auf die Frage, wie er gelöst werden kann. Aber, wie wir hier gezeigt haben, gibt es eine Vielzahl konkreter Stellschrauben, an denen Unternehmen heute schon drehen können.
Die zentrale Herausforderung besteht nicht darin, neue Buzzwords zu entwickeln oder Recruiting-Kampagnen zu starten. Sie besteht darin, sich ehrlich mit der Frage auseinanderzusetzen, was heute einen attraktiven Arbeitgeber ausmacht – und was Menschen wirklich brauchen, um sich für ein Unternehmen zu entscheiden.
Wer bereit ist, genau diese Fragen zu stellen und konsequent daraus zu handeln, wird auch in einem angespannten Markt wieder Talente gewinnen. Nicht, weil es einfach ist – sondern weil es möglich ist.
Lesen Sie auch: Erfolgreiche Freelancersuche: Warum es egal ist, ob wir bestimmte Kandidaten schon in unserem Pool haben
Foto: pexels.com / Ann H.